Kurz vor Weihnachten letzten Jahres legte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung von Teilhabe vor. Dieses soll unter anderem das Budget für Ausbildung erweitern, Menschen mit Behinderungen besser vor Gewalt schützen sowie deren Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe oder zur Teilhabe am Arbeitsmarkt regeln. In einer vorläufigen Einschätzung nimmt der SoVD zu den geplanten Änderungen Stellung. Einzelne Maßnahmen sollen dabei noch in diesem Jahr in Kraft treten, das Gesetz insgesamt aber spätestens zum 1. Januar 2022.
Mit dem Entwurf eines Teilhabestärkungsgesetzes will das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in unterschiedlichen Bereichen eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ermöglichen. Wenn nicht anders bezeichnet, bezieht sich der Großteil der Regelungen auf das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Dieses enthält Vorschriften zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Deutschland.
Begriff „Gewaltschutz“ gesetzlich verankert
Der Gesetzentwurf sieht vor, insbesondere Frauen und Mädchen mit Behinderungen durch „geeignete Maßnahmen“ künftig besser vor Gewalt zu schützen. Rehabilitationsträger und Integrationsämter sollen demnach darauf hinwirken, dass die Leistungserbringer diesen Schutzauftrag erfüllen.
Der SoVD unterstützt das Vorhaben, den Begriff „Gewaltschutz“ erstmals im SGB IX zu verankern. In einigen Punkten allerdings ist die Neuregelung zu vage. So bleiben etwa zu deren Umfang sowie vor allem hinsichtlich wirksamer Kontrollen und Sanktionen leider viele Fragen offen.
Nutzung von Apps bei der medizinischen Rehabilitation
Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen haben einen Leistungsanspruch auf die Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen. Dies soll nun in vergleichbarer Weise auch bei der medizinischen Rehabilitation gelten. Die Nutzung entsprechender Anwendungen muss nach Ansicht des SoVD dabei aber in jedem Fall freiwillig erfolgen, ohne dass Betroffenen andernfalls Nachteile entstehen. Gleichzeitig müssen die Apps unbedingt auch barrierefrei zur Verfügung stehen, damit sie alle Menschen in gleicher Weise benutzen können.
Ausweitung des Budgets für Ausbildung vorgesehen
Auf den Zuspruch des SoVD trifft diese Neuregelung: Wer im Bereich einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet, kann künftig das Budget für Ausbildung in Anspruch nehmen. Dieses umfasst dann auch den Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag, den Beitrag zur Unfallversicherung und die erforderlichen Fahrkosten. Zudem unterstützt künftig die Bundesagentur für Arbeit bei der Suche nach einem geeigneten Ausbildungsplatz oder nach einer geeigneten Einrichtung der beruflichen Rehabilitation.
Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe
Zugang zu Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten künftig Menschen, die wesentlich in der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft eingeschränkt sind („wesentliche Behinderung“). Auch bei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden wesentlichen Behinderungen kann eine Leistungsberechtigung bestehen.
Bei der Neuregelung lässt der Gesetzgeber den leistungsberechtigten Personenkreis grundsätzlich unverändert und lehnt sich damit an die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe an. Das ist eindeutig auch ein Erfolg für die politische Arbeit des SoVD, weil die befürchteten Zugangseinschränkungen für bestimmte Gruppen damit vom Tisch sind. Der SoVD fordert darüber hinaus jedoch, den Zugang von Menschen mit sehr hohen Unterstützungs- und Pflegebedarfen zu Leistungen der Eingliederungshilfe gesetzlich eindeutig zu verankern.
Ausbildung und Mitnahme von Assistenzhunden
Menschen, die mit einem Assistenzhund öffentliche Veranstaltungen oder Einrichtungen betreten wollen, stoßen oftmals auf Probleme. Ein entsprechendes Zutrittsrecht sowie Regelungen zur Ausbildung und Prüfung von Assistenzhunden sieht nun eine neue Regelung im Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) vor. Die ebenfalls vorgesehene Kennzeichnungspflicht für Assistenzhunde hilft nach Meinung des SoVD dabei, das Zutrittsrecht effektiv umzusetzen.
Aus der Rehabilitation auf den Arbeitsmarkt
Langzeitarbeitslose und Menschen, die nach einem langen Erwerbsleben erkranken und beruflich nicht mehr aktiv sein können, haben nach einer Rehabilitation beim Wiedereinstieg ins Arbeitsleben oft erhebliche Schwierigkeiten. Ist für ihre Reha beispielsweise die Rentenversicherung zuständig, können sie nicht von öffentlich geförderten Beschäftigungsverhältnissen etwa nach SGB II (Teilhabe am Arbeitsmarkt) profitieren. Grund dafür ist, dass den Leistungen des Rehabilitationsträgers ein strikter Vorrang zukommt.
Damit ältere, gesundheitlich eingeschränkte Menschen mit Behinderungen und Rehabilitationsbedarfen nicht unter diesem faktischen Leistungsverbot leiden, sieht der Gesetzgeber nun Ausnahmen vom absoluten Vorrang von Rehabilitationsleistungen vor. Das hält auch der SoVD für sinnvoll.
Mit großer Sorge betrachtet der Verband dagegen die nun geplanten und deutlich weitergehenden Ausnahmen zugunsten von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit und der Jobcenter. Die schnelle Vermittlung in einfache Jobs darf nicht den Rehabilitationserfolg infrage stellen, übergeordnetes Ziel muss die nachhaltige Integration Betroffener in den Arbeitsmarkt sein. Damit es hierbei nicht zu Konflikten kommt, schlägt der SoVD eine „Wartezeit“ von sechs Monaten nach Beendigung von Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe vor. Erst danach sollte das strikte Leistungsverbot aufgehoben werden – es sei denn, die betroffene Person selbst wünscht einen früheren Termin.
Jobcenter bei Rehabilitation in die Pflicht nehmen
Ebenfalls vorgesehen ist es, die Jobcenter stärker in das Teilhabeplanverfahren einzubeziehen. Dies kann auch aus Sicht des SoVD dazu beitragen, den Rehazugang für Arbeitslose zu erleichtern und Leistungen besser zu koordinieren. Zu diesem Zweck sollte der Gesetzgeber allerdings entsprechende Ansprechstellen bei den Jobcentern schaffen, die eine kompetente Beratung gesundheitlich eingeschränkter und behinderter Menschen mit Rehabedarf sicherstellen. Hierfür benötigen die Jobcenter wiederum qualifiziertes Personal sowie eine angemessene finanzielle Ausstattung.